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„Kaputtmachen macht immer Spaß.“ – Abbruchhaus ist Ausbildungsort für THW-Ortsverband Unna-Schwerte

Ein muffiger Geruch schlägt den Männern und Frauen des Technischen Hilfswerks entgegen, als sie am Abend des 22. Oktober das Abbruchhaus in Werne betreten. Feuchtigkeit hat sich in dem leer stehenden Gebäude ausgebreitet, seit es nicht mehr geheizt wird. Stockflecken überziehen ein zurückgelassenes Sofa. Dazu der Geruch von Staub und Beton, wie auf einer Baustelle. In den Holzdecken und Ziegelmauern im Innern des alten Einfamilienhauses klaffen große Löcher. Die zwölf ehrenamtlichen Katastrophenschützer in ihren blau-gelben Einsatzanzügen, die an diesem kalten Herbstabend ihr schweres Werkzeug aus dem Gerätekraftwagen entladen, sind nicht zum ersten Mal hier. In zwei Stunden werden sie ihre letzte Ausbildungseinheit in dem Haus beendet haben. Bald kommt der Abrissbagger.

„Das ist schon eine besondere Gelegenheit. Sowas haben wir nicht oft“, sagt Stefan Rogert über das Abbruchhaus. Er ist Gruppenführer einer Bergungsgruppe im THW-Ortsverband Unna-Schwerte und leitet an diesem Abend die Ausbildung. Das Technische Hilfswerk ist die ehrenamtliche Einsatzorganisation des Bundes. Im ganzen Land engagieren sich rund 88.000 Menschen in vielfältigen Ausbildungen, Übungen und Einsätzen für den Zivil- und Katastrophenschutz. Sie sind zur Stelle, wenn Stromausfälle ganze Orte lahmlegen, Flüsse über die Ufer treten oder Häuser einstürzen. In solchen Extremsituationen müssen sie sich auf eine solide Ausbildung verlassen können, damit jeder Handgriff sitzt. In Unna treffen sich die Helferinnen und Helfer des THW dazu immer dienstags an der Unterkunft in der Florianstraße. Neben Schulungsräumen gibt es dort auch ein kleines Übungsgelände für die Praxis. Die Bedingungen einer wirklichen Einsatzstelle lassen sich aber nie vollständig nachbilden. Auch deshalb sind die Ehrenamtlichen dankbar, dass sie heute in einem echten Haus üben dürfen.

Im Obergeschoss leitet Bastian Bense einen Trupp aus drei Helfern, die einen Wanddurchbruch herstellen sollen. „Auf der anderen Seite der Wand ist eine verletzte Person eingeschlossen“, umreißt Bense das Übungsszenario. Später wird er selbst den Verletzten mimen und sich auf der metallenen Schleifkorbtrage von seinen Kameraden durch das schmale Loch in der Wand ziehen lassen. Seine Schmerzensschreie werden die Helfer unter Stress setzen wie in einem echten Einsatz. „Da seid ihr voll mit Adrenalin, das läuft dann alles automatisch.“ Zuerst wiederholt Bense aber ruhig und methodisch mit einer Bleistiftskizze auf der weißen Tapete die Theorie: wie breit der Durchlass sein muss, damit die Helfer in den Raum gelangen und die verletzte Person sicher herausbringen können. Dass sie ein bogenförmiges Loch in die Wand stemmen werden, damit die statischen Lasten gleichmäßig abgeleitet werden. Und welches Werkzeug zum Einsatz kommen wird. „In der letzten Woche haben wir mit der schweren Bergung geübt. Die haben eine Betonkettensäge, die durch die Wand geschnitten hat wie durch Butter“, erinnert sich Truppführer Martin Stoltefuß. Das Technische Hilfswerk hat unterschiedlich spezialisierte Einheiten, nicht jede hat das gleiche Gerät. Heute gibt es keine Betonkettensäge. Die Helfer machen sich mit Hammer und Meißel an die Arbeit, und mit der Kraft ihrer Muskeln.

Stoltefuß haben es die Kameradinnen und Kameraden zu verdanken, dass sie im Abbruchhaus üben können. Er war es, der den Kontakt zu dem Architekturbüro P-hochzwei aus Kamen hergestellt hat, das an dieser Stelle einen modernen Neubau mit zehn Wohnungen errichten will. „Zufällig bin ich mit dem Geschäftsführer Herrn Nittka über den Ausbildungsbedarf des THW ins Gespräch gekommen. Es ist ein großer Glücksfall, dass er bereit war, uns dieses Haus zu Übungszwecken zu überlassen. Oft erfährt man von einem Abriss erst, wenn schon die Bagger rollen.“ Architekt Peter Nittka, der sein Unternehmen in einer gesellschaftlichen Verantwortung sieht, musste nicht lange überlegen: „Wenn wir helfen können, tun wir das.“ Zwischen Ausschreibung und Abriss liegen einige Wochen, die sich gut für die Ausbildung nutzen ließen.

An vier Terminen haben THW-Kräfte in dem Abbruchhaus üben können. Neben den vielseitig einsetzbaren Bergungsgruppen mit ihrem Werkzeug zur Holz-, Metall- und Gesteinsbearbeitung haben in der letzten Woche auch die Rettungshunde der Fachgruppe Ortung alle Winkel des Hauses vom Keller bis zum Dach erkundet. „Wir haben hier die Gebäudesuche geübt“, erklärt Truppführerin Anke Plattner. „Unsere Hunde hatten je nach Leistungsstand angepasste Aufgaben.“ Junghunde konnten eine für sie neue und ungewohnte Umgebung kennenlernen: fremde Gerüche, steile Treppen, dunkle Keller. Für erfahrene Hunde war das Haus ein anspruchsvolles Suchgebiet. Allerlei Geräusche, Gerüche und die Ablenkung durch mehrere Helfer im Gebäude erschwerten es, die Witterung der versteckten Personen aufzunehmen. Auch Spaziergänger und fremde Hunde aus der Nachbarschaft waren einsatztypische Erschwernisse. Am Ende machten die vierbeinigen Profis die geschickt gewählten Verstecke dennoch ausfindig. Auf das Anzeigen der erschnüffelten Person folgte prompt die Belohnung durch ihre Hundeführerinnen und Hundeführer.

Im Keller des Abbruchhauses bauen inzwischen Sandra Rogert, Noah Hinrichs und Simon Szustkowski einen Kreuzstapel aus Kanthölzern. Im Ernstfall lassen sich damit Decken und andere Bauteile abstützen. Die Arbeit geht leicht von der Hand, das Wissen ist noch frisch: „Abstützen mit Holz“ stand erst vor wenigen Wochen auf dem Ausbildungsplan. Schnell wächst der Stapel aus rechteckigen Holzbalken, deren exakt ausgerichtete Überkreuzungen das Gewicht der Kellerdecke abfangen sollen. Zum Schluss werden Keile gegeneinander eingeschlagen, damit kein Spalt bleibt. So übertragen sich die Kräfte der Decke durch das Holz unmittelbar auf den stabilen Untergrund.

Der fertige Holzstapel wirft lange Schatten an die Wände. Strom und Licht haben die THW-Kräfte selbst mitgebracht: Zu Beginn des Ausbildungsabends haben sie im Garten ein Aggregat aufgestellt und Kabel bis in den Keller gelegt. Stromerzeuger und Beleuchtung gehören zur Standardausstattung des Technischen Hilfswerks. Im Einsatz weiß niemand, ob das Stromnetz noch funktioniert. Jetzt erhellt ein Strahler den kleinen Kellerraum. Rundherum ist es stockfinster. Plötzlich dringen Licht und Lärm aus dem Nebenraum: Ein dritter Trupp hat einen Deckendurchbruch vom Erdgeschoss in den Keller geschaffen. Durch das Loch grinst Lucas Frank zu seinen Kameraden hinab. Er hatte zuerst mit der Stichsäge ein Loch in den alten Holzfußboden geschnitten und sich dann mit Bohrer und Meißel durch den spröden Beton der Kellerdecke gearbeitet. Jetzt geht es an die Rettung der im Keller „eingeschlossenen“ Personen. Sandra Rogert legt sich den Gurt des Rollgliss‘ an, ein Abseilgerät nach dem Flaschenzugprinzip für die Rettung aus Höhen und Tiefen, das aus dem Bergsport stammt. Angestrengt presst Lucas Frank die Lippen zusammen, als er seine Kameradin am Seil aus dem Keller heraufzieht. Dann ist es geschafft, die Gerettete hat den Rand des Lochs überwunden und drückt sich vom Fußboden ab.

Kurz darauf heißt es „Ausbildungsende“. Ein Nachbar schaut interessiert, als die Ehrenamtlichen ihr Werkzeug auf den dunkelblauen Fahrzeugen verstauen und die Rückfahrt antreten. In der Nachbesprechung an der Unterkunft gibt jeder Feedback: Die gestellten Aufgaben wurden auch unter Stress gut gelöst. Wirklichkeitsnahe Ausbildung ist wichtig. Und überhaupt: „Kaputtmachen macht immer Spaß.“ Aber bei aller Freude gibt es auch kritische Hinweise. Ein Helfer wünscht sich mehr Sicherheit in der Ansprache und Betreuung von Verletzten – ein Punkt, der in der Sanitätsausbildung aufgegriffen werden soll. Martin Stoltefuß hofft, dass in Zukunft auch andere Architekten dem Beispiel von Peter Nittka folgen und bei anstehenden Abrissarbeiten an die Ehrenamtlichen denken. Manchmal genügt schon eine kleine Lücke im Bauzeitenplan, um einen praktischen Beitrag zum Bevölkerungsschutz zu leisten.